Im März hat das Thema Coronavirus einen drastischen Einschnitt in das Leben gebracht. Mittlerweile sind die Maßnahmen gelockert und die Straßen sind wieder belebter. Doch ist das heutige Bild vor allem in Geschäften, öffentlichen Verkehrsmitteln oder an diversen Orten anders, denn es ist geprägt von Menschen mit Masken, die Mund und Nase bedecken. Für manche gibt diese Maske ein Gefühl der Sicherheit oder auch der Verantwortungserfüllung, für einige ist es ein notwendiges Übel, das man als vorübergehende Pflicht in Kauf nimmt, und wieder andere sehen darin eine sinnlose oder sogar lächerliche oder auch gesundheitsschwächende Maßnahme. Oft hört man Aussagen, dass es ein Ausdruck für die Beschneidung der Grundrechte, der Freiheit und Würde des Menschen sei. Einige empfinden das Bild des maskierten Menschen als etwas Deprimierendes, da die Mimik und Ausdrucksfähigkeit des Gesichtes reduziert sind.
In meiner Arbeit als Yogalehrerin hat mich die Corona-Thematik und nun zusätzlich dieses Bild des Menschen mit Mund-Nasen-Maske gedrängt, das Atemsystem näher zu studieren. Die folgenden Beschreibungen entstammen aus meiner Auseinandersetzung und geben meine persönliche Sichtweise bzw. momentanen Betrachtungsstandpunkt wieder, der nicht mit dem Anspruch auf ein vollständiges Wissen zur Atmung, sondern nur als Anregung für eigenständige Beobachtungen und Weiterentwicklung von Überlegungen dargestellt ist.
Das Atemsystem
Der menschliche Organismus besitzt unterschiedliche Systeme, die für sich stehend, aber gleichzeitig immer im Zusammenwirken mit den anderen, eine selbständige Einheit bilden. Diese sind beispielsweise das Herz-Kreislaufsystem, das Nerven-Sinnessystem, Ausscheidungssystem, Verdauungssystem, Hormonsystem, Immunsystem und eben auch das Atemsystem.
Über das Atemsystem kann der menschliche Organismus die Luft der Umgebung aufnehmen und die verschiedenen Gase, vor allem den Sauerstoff, bis zu den kleinsten Einheiten in die Zellen hinein weiterleiten und damit den Organismus versorgen. Dies geschieht mit der Einatmung. Mit der Ausatmung werden diverse Gase, vor allem Kohlendioxid, über die Atemwege nach außen an die Luft abgegeben.
Die Nase und der Mund sind die beiden „Tore“, durch die die Luft in den Körper dringt und auch wieder nach außen abgegeben wird. Die eingeatmete Luft durchströmt die Luftröhre von oben nach unten, geht über in die Bronchien, die sich nach links und rechts in immer feiner werdende Verästelungen verzweigen, bis sie zu der letzten Funktionseinheit der Lunge, den Lungenbläschen oder Alveolen, gelangt. In diesen Alveolen kommt nun die aufgenommene Luft mit dem Blut in Berührung und es findet hier der eigentliche Gasaustausch statt. Insbesondere wird Sauerstoff in das Blut abgegeben und Kohlenstoff aus dem Blut aufgenommen, welcher schließlich mit der Ausatmung wieder zurück über die Bronchialverzweigungen, Luftröhre und Nase oder Mund nach außen abgegeben wird. Bis zu den Alveolen wird der Atemvorgang als „äußere Atmung“ bezeichnet, nach der Übergabe an das Blut nennt man den Prozess der Sauerstoffversorgung „innere Atmung“.
Die Hauptbronchien bilden ausgehend von der Luftröhre nach links und rechts zwei Hauptäste, die sich wie ein Baum immer feiner verzweigen, sodass die Lunge ein zweigliedriges Organ mit einer rechten und linken Hälfte ist. In der deutschen Sprache nennt man diese beiden Hälften auch „Lungenflügel“ - eine interessante, bildhafte Bezeichnung, die man in anderen Sprachen nicht wiederfindet. Der innere Bereich der Lunge ist umschlossen von der Lungenhaut, auf welcher wiederum das Brustfell (die innere Hülle des Brustraums) aufliegt. So liegen diese beiden Häute - das Lungenfell und das Brustfell - aneinander, getrennt jedoch von einem feinen Spalt, der mit Flüssigkeit gefüllt ist (Pleuraspalt). Die Flüssigkeit zwischen Lungenfell und Brustfell ermöglicht es, dass sich diese beiden Häute gegeneinander verschieben können, was für die Ausdehnung der Lunge wichtig ist, und dass sie aneinander haften bleiben, denn ohne diese Haftung würde die Lunge in sich zusammenfallen.
Zur Atemmuskulatur zählt vor allem die Rippenmuskulatur und als Hauptmuskel das Zwerchfell, das als große Muskelplatte zwischen Brust- und Bauchraum gelagert ist. Über vegetative Nervenzentren werden die Atemmuskeln zur Kontraktion angeregt. Dies führt zur Ausdehnung der Lunge und damit zum Einströmen der Außenluft. Mit dem Erschlaffen der Muskulatur fällt die Lunge wieder ein wenig in sich zusammen und Atemluft strömt nach außen.
Weites Durchatmen und die Wahrnehmung zur Luft und zur räumlichen Weite
Dies ist eine einfache überblicksmäßige Beschreibung zum Atemvorgang und zur Atemphysiologie. Nun ist es interessant zu schauen, wie eng oder weit gefasst man sich diesen Atemvorgang vorstellen kann. Man kann sich zum Beispiel den Atemvorgang beginnend mit dem Einströmen in die Nase bis zum Eindringen in die Lunge vorstellen. Etwas weiter wird das Bild, wenn man sich den Weg der Luft bis hinein in die Zellen in alle Teile des Organismus vorstellt. Und noch weiter wird dieses Bild, wenn man sich dazu sogar noch die Luft außen oder den mit Luft gefüllten Raum, der uns Menschen umgibt, vorstellt. Das ist ein ganz interessanter und wesentlicher Zusammenhang, der in älteren medizinischen Überlieferungen zu finden ist und den man auch mit dem manipura-cakra, dem 3. Energiezentrum nach der cakren-Lehre, wie sie Heinz Grill erforscht hat, studieren kann. Mit dieser Wahrnehmung oder Vorstellung zum größeren Luftraum gewinnt die Atmung eine weichere, leichtere und regenerative Qualität.
„Bei all diesen Übungen (zum 3. Zentrum) besteht der Grundsatz des freien
und natürlichen Atems und des Offenseins zu dem größeren Raum der Luft.“
(siehe auch die zum Abschluss beschriebene Übung das Dreieck)
In jeder Sekunde lebt und bewegt sich also der Mensch in dem ihn umgebenden Luftraum und nimmt dort, wo er sich befindet, die Luft aus seiner Umgebung auf. Er nimmt die Luft auf und diese dringt in die Lunge und von dort weiter bis in die kleinsten Zellen seines Körpers. Dann bewegen sich die auszuscheidenden Gase wieder über den Blutweg zurück zur Lunge und treten über die Atemwege nach außen in die Umgebung. Tatsächlich in jedem Augenblick atmen alle lebenden Menschen ein und aus, vom großen äußeren Luftraum bis hinein in die kleinste Zelle, dies auf der ganzen Erde. Stellt man sich diesen etwas weit gefassten, aber völlig realen Umstand lebendig vor, so sieht man, dass der Mensch mit dem Atemprozess in das Leben auf der gesamten Erde und ihrer Atmosphäre eingebunden ist. Ohne Atem stirbt der Mensch.
Darüber hinaus atmen ebenso die Tiere und in gewisser Weise auch die Pflanzen. Diese haben die besondere Eigenschaft, dass der Atemvorgang wie konträr zum Menschen stattfindet: Pflanzen geben Sauerstoff an die Luft ab und nehmen Kohlendioxid aus der Luft auf.
Dass der Mensch eine gute Luftqualität für seine Atmung und die damit verbundenen Lebenskräfte braucht, ist allgemein bekannt. Die frische, klare Bergluft hoch oben in Gipfelnähe mit den kräftigen, würzigen Bergwiesen oder auch die besondere Luft in den Wäldern sind ein Lebenselixier. Man spürt unmittelbar, dass diese Luft rein und belebend ist. Ist man dazu noch mit aktiver Bewegung unterwegs, indem man bergauf steigen, sich anstrengen und schwitzen muss, dann wird die Durchatmung intensiv und kann weit zirkulieren. Gutes Durchatmen mit kräftiger reiner Luft hat einen hohen Heilwert. Fehlt diese Durchatmung, wird auch die gesamte Versorgung des Organismus bis zu den Zellen mangelhaft sein und über längere Zeit hinweg die Körperfunktionen und auch das Immunsystem schwächer werden.
Auf einen zweiten Aspekt kommt man, wenn man beispielsweise einmal spielerisch versucht, passende Adjektive zu finden, die die Luftqualität in unberührten Naturlandschaften beschreiben. Man bemerkt, das die Luft nicht nur „gut“ ist, sondern beispielsweise bewegt, substanziell, füllig, warm, würzig, mild, weich, strukturierend, frisch, belebend usw. sein kann. Mit solchen Beobachtungen erlebt man auch unmittelbar, dass zwar in erster Linie die Sauerstoffversorgung essenziell ist, aber darüber hinaus auch in der Natur tatsächlich unterschiedliche aufbauende, lebendige Kräfte leben, die über die Atmung aufgenommen werden und mit denen der Mensch in einem Austausch lebt.
Die dritte Komponente für eine gesunde, lebensspendende, weite und regenerative Atmung wäre dann wie oben beschrieben die allgemeine Vorstellung über den weiten Luftraum, in dem der Mensch sich bewegt und lebt.
Atem und soziale Verbindung
Mit dieser weiter gefassten Vorstellung über die Atmung, die den Luftraum außen mit in die Betrachtung einschließt, kommt man zu der Beobachtung, dass damit auch ein sozialer Zusammenhang gegeben ist. Die Luft verbindet alle Erscheinungs- und Lebensformen auf der Erde und so ist der Mensch zwar als Einzelindividuum ins Leben gestellt, aber doch in ständiger Verbindung zu anderen Menschen, aber auch zu den Pflanzen, Tieren, zur ganzen Natur und den Bergen.
Mit dieser Art Verbindung, sozialem Zusammenhang und Beziehungsraum ist der Mensch in einer gewissen Weise genauso existenziell verbunden wie mit der Atemluft. In den Kontakten und Begegnungen findet ein gegenseitiger Austausch statt, der Entwicklungen fördern, zu neuen Sichtweisen und Perspektiven anregen und eine Nähe und Wärme geben kann. Wenn das Beziehungsleben aktiv gestaltet wird, können für alle Beteiligten die Lebenskräfte gestärkt werden.
Wenn man dieses Bild von dem größeren Luftraum und den sozialen Zusammenhang aktiv denkt und empfindet, dann bemerkt man, wie sich der Atemfluss etwas von Spannungen, Enge, Beklemmungsgefühlen und Verhärtungen befreit und weiter, leichter und sanfter wird.
Weite und Perspektiven - Enge und Ängste
Die Atmung reagiert sehr sensibel auf alle Einflüsse und so können weite Perspektiven, Lebensziele, mutige Handlungen, Tatendrang, Freude an Beziehungen jeder Art und Interesse an Themen und spirituellen Fragen weitend und belebend auf die Atmung wirken. Das Gegenteil sind Enge, Ängste und Sorgen, Hoffnungslosigkeit, Beziehungsmangel, Einsamkeit und Passivität, Interesselosigkeit und Ignoranz. Diese wirken sich beengend, schwächend, lähmend auf die Atmung aus.
Wenn man Interessen für Themen entwickelt und verschiedene Phänomene erforscht und aktiv selbständig durchdenkt, entsteht Weite, denn man geht hinaus zu der anderen Sache und dringt in diese bzw. in das Thema oder einen Zusammenhang ein. Der Blick differenziert sich und viele Details werden plötzlich wahrnehmbar. Mit dieser Aktivität hin zu Interessensgebieten und Zielen bemerkt man, dass man selbst eine Schaffenskraft hat und Ängste lösen sich auf bzw weichen an eine rationale Stelle zurück. Weite entsteht mit der eigenen Aktivität und Schaffenskraft.
Wenn ich nun die Menschen mit der Mundnasenmaske sehe, so kann ich beim besten Willen nicht anders fühlen, als dass es irreal und absurd ist. Tut man es aus einem nüchternen und realen Blick auf die Sache oder aus einer manipulativ erzeugten Angst? Sicher könnte man argumentieren, dass diese Maßnahme in einer vermeintlichen Notsituation besser als eine zerstörende Krankheit sei. Beachtet man aber auch die Aussagen von vielen Medizinern und Experten, die sich rational gegen die Sinnhaftigkeit der Masken aussprechen (in Verbindung mit einem nüchternen Blick auf die offiziellen statistischen Zahlen, die gar nicht so besorgniserregend sind wie von den Medien vermittelt wird) und dazu diese hier beschriebene Vorstellung zur Atmung, dann kommt man unweigerlich zu dem Ergebnis, dass die Abschirmung von der gesunden weiten Durchatmung und der damit verbundenen Beziehung nach außen in jeder Hinsicht auf die Dauer nur ungesund sein kann.
Der weite Luftraum im äußeren Sinn mit der guten Luft, die vor allem jetzt im Frühling und Sommer kräftig aufgeladen ist, wird abgeschnitten. Und auch der weite Luftraum im Sinne von Kommunikation und Beziehung wird abgeriegelt. Viele kennen vielleicht auch die Erfahrung, wenn man in einem Geschäft einkaufen geht und sich mit den Masken begegnet, dass man sich gar nicht so freudig und interessiert unterhalten will und kann, wenn der Mund abgedeckt ist. Außerdem sieht man den anderen Menschen eingeschränkt ohne Mund und Mimik und es erstickt zu einem gewissen Grad die Freude an der Begegnung.
„Die Luft als Element besitzt die Eigenschaft, jeden leeren Raum für sich auszufüllen und darüber hinaus berührt sie in sensitiver Schwerelosigkeit alle Gegenstände dieser Welt. Mit diesen Neigungen wirkt sie auf unmittelbarste Weise verbindend und empfindungsfördernd.“
(Die Seelendimension des Yoga, Heinz Grill)
Das Dreieck und die Weite
Eine wunderbare Yogaübung, anhand derer man sich mit diesem Thema auseinandersetzen und auch eine weite, freie und füllige Atmung anregen kann, ist das Dreieck, trikonasana.
Im einfachen Sinn erlebt man im Dreieck die Weite im Gegenteil zur Enge durch die weit ausholende Seitwärtsbewegung mit einer Ausdehnung der Flanken.
Im etwas genaueren Sinn bemerkt man, wie das Erleben der Weite mit der bewussten Gliederung im Dreieck verbunden ist. Man ordnet die Position nach 3 Gliedern:
- dem ruhigen, unbewegten Stand als stabile Basis
- die dynamische und lebendige Bewegung aus der Mitte des Rumpfes (3. Zentrum Sonnengeflecht)
- den oberen leichten, bewegten Bereich, der frei von Spannungen bleibt und in harmonischer Linie mit dem Arm die Ausdehnung aus den Flanken entspannt fortsetzt
Zusätzlich zu dieser Gliederung nimmt man die Vorstellung dazu, dass die Bewegung in der Weite des umgebenden Raumes ansetzt. Man nimmt den äußeren Raum wahr und bewegt sich in diesen Raum hinein. Die Bewegung beginnt in der Weite und endet in der Weite.
Das Dreieck ist ein Sinnbild für die gegliederte Beziehungsaufnahme nach außen.
siehe auch: https://www.yoga-berge-formen.net/formen/formerleben-in-der-yogaübung/dreieck-gliederung/
„Die dritte Region des Seelenlebens (manipura-cakra) repräsentiert im äußeren Ausdruck die Zielstrebigkeit, die Fähigkeit, Ziele zu wünschen, Ziele zu denken, Ziele für das Leben aufzubauen und durch diese im Leben eine wachsende Weite zu kreieren. Es ist diese Region, wenn man sie nach einem idealen Bild beschreibt, förmlich diejenige des weiten, sich öffnenden Raumes, eines Raumes, der sich weder verliert noch sich mit engen Begrenzungen zurückhält. So wie eine Pflanze nicht unter den dichten Ästen von Bäumen wachsen kann, so kann auch der einzelne Mensch in seiner Entwicklung keine gesunden Fortschritte erzielen, wenn er durch die Willensverhältnisse und Bedingungen des mitmenschlichen Lebens keinen ausreichenden Raum gewährt bekommt. Die Raumfrage in seelischer Hinsicht korrespondiert nahe mit der Entwicklungsfrage und ihren freiheitlichen Bedingungen. So ist diese Raumfrage von der möglichen Freiheit und Weite abhängig, die Menschen im Miteinander kreieren.“